Als ich mich vor zwei Jahren selbstständig machte, war mir klar, dass einer meiner Schwerpunkte im Coaching die Begleitung von Eltern sein sollte. Da ich die Herausforderungen beim Wiedereinstieg nach der Elternzeit aus eigenen Erfahrungen kannte, war und ist es mir eine Herzensangelegenheit, andere Menschen dabei zu unterstützen, den für sie richtigen Weg zu finden. Als ich mein Angebot für meine Website und den Businessplan in Worte fasste, feilte ich an passenden Formulierungen. „Kind & Karriere“ ist eine gängige Überschrift für Coaching- und Beratungsangebote, die sich an berufstätige Eltern richten. Das erschien mir aber nicht ganz treffend, denn ab wann gilt eine berufliche Laufbahn als Karriere? Hat nur jemand, der Führungsverantwortung hat, eine Karriere? Oder hängt Karriere vom Gehalt ab? Vom Titel? Vielleicht würden sich manche Eltern davon nicht angesprochen fühlen, dachte ich. Außerdem kann ich mich gut daran erinnern, dass mir nach meinen beiden Elternzeiten der Sinn nicht nach Karriere in der klassischen Form stand, sondern mich beschäftigten eher Fragen und Themen wie:
· Was mache ich mit meinem schlechten Gewissen meinem Kind gegenüber, weil ich wieder Überstunden gemacht habe?
· Was mache ich mit meinem schlechten Gewissen meinen Kollegen und Kolleginnen gegenüber, wenn ich mal keine Überstunden mache und pünktlich den Stift fallen lasse?
· Hört dieses Gefühl, alles ein bisschen und nichts so richtig zu machen, eigentlich jemals wieder auf?
· Wie fühle ich mich weiterhin als Teil des Teams, obwohl ich nur noch den halben Tag im Büro bin?
· Wie kann ich meinen Kollegen und Kolleginnen freundlich erklären, dass ich keine Zeit mehr für ausgedehnte Plauschrunden an der Kaffeemaschine habe, weil ich pünktlich in der Kita sein muss?
· Wieso habe ich eigentlich genauso viele Aufgaben wie früher in Vollzeit, aber viel weniger Zeit, sie zu erledigen und viel weniger Geld zur Verfügung?
· Wie kann ich dafür sorgen, dass ich weiterhin alle Infos bekomme, auch, wenn ich nicht mehr acht Stunden im Büro bin?
· Wie soll ich mit meinen Urlaubstagen hinkommen, wenn die Kita mehr Schließzeiten hat, als ich frei habe?
· Macht mir mein Job in Teilzeit überhaupt noch Spaß?
· Oh Mist, bekommt das Kind gerade Fieber? Ich kann mich morgen auf gar keinen Fall kindkrank melden.
· Wie lange kann ich Teilzeit arbeiten, ohne Angst vor Altersarmut haben zu müssen?
Mit klassischer Karriere hatte das alles erstmal nichts zu tun, es ging vielmehr darum, in dieser veränderten Situation überhaupt wieder klar zu kommen – organisatorisch und emotional. Den Anforderungen, die Kind und Arbeitgeber an einen stellten, irgendwie gerecht zu werden und diese zwei Lebensbereiche unter einen Hut zu bekommen. Der Wunsch nach Karriere im Sinne von persönlicher und finanzieller Weiterentwicklung kam für mich erst eine ganze Weile nach dem zweiten Kind. Da ich weiß, dass es vielen Eltern, insbesondere Müttern ähnlich geht, wollte ich mein Angebot also nicht so hochtrabend „Kind & Karriere“ nennen, sondern nannte es „Vereinbarkeit von Familie & Beruf“.
Aber vor kurzem dachte ich: was, wenn ein Elternteil das gar nicht miteinander vereinbaren will? Es gibt ja durchaus Hausfrauen und Hausmänner, die ihre Rolle bewusst gewählt haben. Vielleicht vorübergehend im Rahmen der Elternzeit, vielleicht auch zuerst nicht so ganz freiwillig durch eine Arbeitslosigkeit etc., vielleicht aber auch langfristig. Und nur, weil man nicht seinen Mann oder seine Frau im Berufsleben stehen muss, heißt das ja nicht, dass dann alles automatisch easy und unkompliziert ist. Und – so sehr wir unsere Kinder sicherlich alle lieben – Kinder zu haben, sie zu begleiten bei Kita- und Schulsorgen, beim Einschlafen, bei kindlichen Ängsten und Wutanfällen, bei all ihren seelischen Wachstumsschmerzen, ergänzt noch durch all die organisatorischen kleinen und großen Dinge, an die man so denken und die man erledigen muss, ist neben all der Freude auch ein großes Stück Arbeit. Es ist vielleicht kein IHK-geprüfter Beruf, aber Arbeit ist es sehr wohl auch.
Und jede Arbeit – egal, ob eine klassische Erwerbstätigkeit oder die unentgeltliche Care-Arbeit für die Familie – macht an manchen Tagen mehr Spaß und an anderen weniger. Manchmal erfüllt sie uns und manchmal nervt sie uns. Manchmal fühlen wir uns sehr kompetent und an anderen Tagen absolut unfähig. Und sie kann uns (mindestens!) genauso an unsere Grenzen bringen wie eine Führungsposition. Ein cholerischer Chef ist nichts gegen einen Zweijährigen, der einen Wutanfall bekommt, weil der Becher die falsche Farbe hat. Und Schichtzulage gibt es für durchwachte Nächte auch nicht.
Dass Coaching für berufstätige Eltern oder als Vorbereitung für den Wiedereinstieg nach der Elternzeit sinnvoll sein kann, steht für viele wahrscheinlich außer Frage. Aber ich denke: wie muss sich ein nicht erwerbstätiges Elternteil fühlen, wenn es immer von dieser Herausforderung der Vereinbarkeit hört und liest? Wir sollten vielleicht behutsamer mit unserer Sprache umgehen und nicht nur die Arbeit als Arbeit bezeichnen, die wir bezahlt bekommen. „Arbeitest du schon wieder?“ wird man als Mutter eines Kleinkindes häufig auf dem Spielplatz gefragt. „Nein, ich bin noch in Elternzeit“, heißt es dann vielleicht. Dabei ist doch auch das Arbeit. So erfüllend, so anstrengend, so herausfordernd, so frustrierend, so lustig, so bereichernd, so aufregend, so bunt und facettenreich wie Arbeit nur sein kann.
Vielleicht trifft es also „Elterncoaching“ besser als „Kind & Karriere“ oder „Vereinbarkeit von Familie & Beruf“….? Und vielleicht - aber das ist ein neues Thema - sollte es ein größeres Bewusstsein dafür geben, dass "Vereinbarkeit von Familie & Beruf" nicht nur Eltern mit ihren Kindern, sondern auch Menschen mit pflegebedürftigen Eltern oder anderen Familienangehörigen meinen kann?
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